"Bombergate", so wird der Skandal um die Neuköllner BVV-Abgeordnete Anne Helm genannt. Diese hatte in Dresden zum 69. Jahrestag der alliierten Bombenangriffe auf Dresden mit blanker Brust dem britischen Befehlshaber Arthur Harris "gedankt" – und so auf menschenverachtende Weise zehntausende Opfer verhöhnt. Der KURIER hatte sie trotz Vermummung enttarnt und die Geschichte öffentlich gemacht. Und seitdem toben heftige Diskussionen innerhalb der Piraten über die Frau, die sogar auf Listenplatz 5 zur Europawahl steht. Unklar ist, ob sie diesen behält oder womöglich, wie viele fordern, aus der Partei ausgeschlossen wird.
Viele Piraten hatten von Helm gefordert, dass sie sich zu ihrer Beteiligung bei dem Skandal äußert. Gestern Nachmittag veröffentlichte sie dann ein politisches Statement. Statt eines klaren "Ja" oder "Nein" verhedderte sie sich allerdings in einem historischen Exkurs. Laut Piraten-Bundesvorstand sieht sich Anne Helm derzeit "massiven Anfeindungen aus dem rechten Spektrum ausgesetzt".
Ihr wahrer Name ist Mercedes Reichstein (22). Piraten-Mitglied und Kandidatin für den Berliner Landesvorstand. Sie warf im Februar laut Polizei "fackelähnliche Gegenstände" auf die russische Botschaft!
Selbst liberale Piraten schütteln ungläubig den Kopf über die unhaltbaren Zustände, treten wie Enno Lenze aus oder distanzieren sich von der Partei. Kein Wunder, scheint doch selbst Beratern des Bundesvorstands wie Julia Schramm jedes Taktgefühl verloren gegangen zu sein. Sie twitterte zum "Bombergate": "Sauerkraut, Kartoffelbrei – Bomber Harris, Feuer frei". Eine geschmacklose Provokation, die in anderen demokratischen Parteien wohl ein Parteiausschlussverfahren zur Folge hätte. Bei den Piraten heißt es von der Pressestelle: "Wir beobachten die Entwicklung sehr genau".
Wir bekennen uns zu einem gleichberechtigten Miteinander aller Menschen, unabhängig von Herkunft, Religion, Geschlecht oder sexuellen Vorlieben. Wir sind uns natürlich bewusst, dass diese Gleichberechtigung noch nicht erreicht ist. Aber auch diese Auseinandersetzung bedarf des gegenseitigen Respekts und darf nicht in Drohungen, Nachstellungen, schwarzen Listen oder Internet-Prangern enden.
Nächste Eskalationsstufe. Auftritt Schramm, Höfinghoff und Freunde. Feixend und johlend mit bekannten Parolen haut man in die von Helm geschlagene Kerbe, nennt es Twitterdemo. Kritik daran führt dazu, dass man zum Eichmann-Fan und Nazi gemacht wird. Wenn man das wird, weil man das Sterben Tausender Zivilisten nicht gutheisst und schon gar nicht das eklige Abfeiern darauf, dann bin ich wohl so einer. Einige Leute haben Screenshots gesammelt, Anzeigen würden mich nicht wirklich verwundern, gegen Anne Helm ist bereits mindestens eine gestellt worden. Der Account von Schramm ging dann auch schnell in den geschützten Modus. Pietätlosigkeiten die potentiell noch weitergingen, waren also nicht mehr nachvollziehbar.
Kurz: Stellt euch nicht so an, es ging nur gegen Nazis, war unvermeidbar und voll schön. Werft Bomben, macht Deutschland zu Ackerland. Parolen, die ich bei 16jährigen peinlich finden würde, sind für politisch agierende Menschen und die zugehörige Partei untragbar. Da wird doch sicher der Bundesvorstand reagieren.
Nein. Der wird krank, seine bessere Hälfte verteidigt dann Schramm, grob gesagt so: "Die Julia ist töfte und ein guter Freund, das ist schon ok so". Als dann mal was vom BuVo kommt, mittlerweile sind einige besonnene, vernünftige Personen ausgetreten, haben dies vor oder haben zumindestens angekündigt, für die Europawahl #keinenHandschlag zu tun, meldet sich der BuVo endlich.
Und berichtet an sich nur, dass Helm bedroht wird und dass das nicht geht und man zu ihr steht. Natürlich geht das nicht, keine Frage (wenn es stimmt, mittlerweile weiß man ja nicht mehr, wem man was glauben kann). Aber natürlich ist das einfach plumpes Derailing. Das mit dem Mollie in Berlin ist dann nur noch ein weiterer Tropfen, der ja fast schon untergeht. Aber gut, der Vollständigkeit halber: War nur symbolisch. Wichtige Geste. Vielleicht etwas übers Ziel. Sowas las man u.A. dazu.
Wir haben also mehrere politisch aktive Personen (auf Listen, in Fraktion …) innerhalb einer Partei, die nicht nur ungestraft, sondern mit Unterstützung vom Bundesvorstand lügen, Bombardements feiern und fordern und deren Kritiker, wie so gerne und oft, einfach schnell und laut als Nazis diffamiert werden. Einige zugehörige Piraten, wie z.B. Delius, freuen sich offen über Austritte von Personen, diese wären dann ja eh keine echten Piraten. Im Ernst? Die ganzen Leute, die austreten, waren nie Piraten? Diejenigen, die sofort Nazi schreien und Tote feiern schon? Ok. Dann waren Piraten immer anders, als ich dachte.
Zum Glück formiert sich auch Widerstand (ok, in Berlin, verständlicherweise eher still, da würde ich auch Sorge haben, zum Mobbingopfer zu werden) innerhalb der Partei. Was der noch retten kann und wie, ist eine interessante Frage.
Was haben wir also letztendlich?
Ein absolutes Desaster.